Donnerstag, 6. Mai 2010

Frühling

Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!


Eduard Mörike


Ja ich lebe noch. Es ist einige Zeit her, seit ich hier zum letzten Mal etwas geschieben habe. Das hat mehrere Gründe.
Nachdem ich sehr stolz auf mich war, das letzte Jahr sogar während der Minusgrade meinen Trainingsplan eiskalt durchzuziehen, ereilte mich ca. 1 Woche nach Beginn des neuen Jahres (also eigentlich der Zeitpunkt zu dem sonst alle sehr eifrig sind irgendwas zu tun...)ein Motivationstief. Eigentlich war es eher ein Motivationstal, denn es dauerte recht lange und wirkte sich neben dem Sport auch auf mein restliches Leben aus, mit teilweise recht schwerwiegenden Konsequenzen.

Wie auch immer, ich habe es geschafft mich wieder raus zu hiefen, nicht zuletzt dank der Hilfe von Clara, die mir immer wieder Freundschaftlich in den Allerwertesten getreten hat und Nana, die ich letztes Jahr mit dem Triathlonvirus infiziert hatte und deren Begeisterung dieses Jahr auch wieder auf mich übergeschwappt ist. Im März war ich erstmals wieder laufen, nach fast 2-monatiger Pause, allerdings nur sporadische 1-2x. Im April war es dann wieder etwas regelmäßiger 1-2x die Woche.

Vor zwei Wochen habe ich mich dann kurzerhand für 2 Sprinttriathlons und eine olympische Distanz angemeldet, man muss sich ja Ziele setzen. Seit dem war ich auch wieder (mehr oder weniger) regelmäßig beim Schwimmen und das Laufen klappt auch wieder etwas besser.

Ich schreibe diesen Beteitrag während ich mich zum ersten Mal wieder an eine 7,6km-Strecke laufen herantraue. Natürlich schreibe ich ihn nur im Kopf, um ihn später dann zu Papier zu bringen, aber normalerweise entstehen alle meine Beiträge während des Trainings. Der Wald ist mittlerweile schön saftig grün. Bei meinen ersten Läufen nach der Pause war ich mehr oder weniger entsetzt. Der schwere Sturm im Frühjahr hatte deutliche Schäden hinterlassen, viele Bäume waren umgestürtzt und allgemein sah der Wald recht unordentlich aus. Sofern man einen Wald als unordentlich bezeichnen kann.

Das ist jetzt aber alles wieder vergessen. Männer sind mit Maschinen gekommen und haben viele Bäume gefällt, die liegen jetzt alle fein säuberlich aufgereiht am Wegesrand, in den ersten Tagen hat es ganz wunderbar nach frischem Holz gerochen. Mittlerweile riecht es nicht mehr so sehr nach Holz, dafür ist auf jedem Stamm ein hübscher bunter Punkt, der markiert, wer den Stamm gekauft hat. Das ergibt ganz lustige Fleckenmuster.

Es ist nicht sonderlich warm und sehr windig heute. Ich trage eine 3/4 Hose und meine Windjacke, stelle aber fest dass dieses Outfit, sobald man mal aus dem Wind heraus und im Wald ist, eigetnlich zu warm ist. Naja, man kann es nicht allen recht machen. Ich hopple in Schrittgeschwindigkeit durch den Wald und amüsiere mich zum hundertsten mal über das Schild das sagt, "Bitte nach Dunkelheit diesen Weg nicht mehr befahren - Krötenwanderweg". Auf dem Boden liegt ein toter Maikäfer. Und noch einer. Und noch einer. Eigetlich ist der Boden bedeckt mit toten Maikäfern. Und immer mehr fallen vom Himmel. Ein Maikäferregen. Irgendwie ist das ganz schön eklig, ich versuche beim Laufen zu vermeiden auf die kleinen Körper zu treten. Wenn ich es nicht schaffe gibt es ein knackendes Geräusch und ich bekomme eine Gänsehaut. Einmal fällt mir ein Maikäfer auf den Kopf.

Warum sich die Maikäfer genau diesen Tag ausgesucht haben um zu sterben weiß ich nicht. Vielleicht lag es am Wind, vielleicht sehen sie einfach keinen Sinn mehr darin zu leben, wenn der Mai angefangen hat. Oder irgend jemand hat einfach ganz unromantisch Gift gespritzt. Maikäfer sind ja nicht zu unterschätzen, so als Raubtiere. Zumindest wenn man ein Baum ist.

Ich hopple also weiter und hüpfe über tote Maikäfer, philosophierend darüber, warum sie da jetzt so liegen und ob es ihnen wohl egal ist, weil ja nächstes Jahr wieder genug andere Maikäfer da sein werden. Ich trabe an der Straße entlang. Ich hasse diesen Abschnitt meiner Strecke, weil man da immer genau sehen kann wie die Autofahrer glotzen. Normalerweise führe ich die dämlichen Gesichtsausdrücke auf das eigene schlechte Gewissen zurück, weil da jemand was tut. Heute mag es mir nicht so recht gelingen. Ich halte kurz an der Ampel, es ist Feierabendzeit und viel los, dann nochmal links übers Feld abbiegen. Ein Mann kommt mir entgegen der unablässig auf seinen Hund einkreischt. Das arme Tier. Es guckt irgendwie so als würde es sich gerne zu den Maikäfern legen.

Zwei weitere Hundebesitzer und eine Herde Spargelernter passieren mich, oder ich passiere sie. Irgendwer passiert jedenfalls. Ein Mann pflanzt Blumen vor dem Eingang des Privatgrundstücks des FKK-Vereins, an dem ich ebenfalls vorbeijogge. Am Anfang dachte ich das wäre vielleicht etwas aufregendes, ein Testgelände für Waffen. Das Grundstücks eines verbitterten alten Millionärs. Ist es leider nicht. Und wegen des Zaunes kann man noch nicht mal gucken. Also nicht das ich wollen würde.

Weiter am Zaun entlang, eine halbe Ewigkeit, dann noch eine Straße zum überqueren, diesmal warte ich eine Ewigkeit, es ist immer noch Feierabendverkehr. Dann Entspurt nach Hause. Ich muss an meine Mutter denken, die immer gesagt hat "das Pferd riecht den Stall" wenn wir früher unterwegs waren, müde und kaputt auf dem Heimweg und sobald das Haus in Sicht kam noch einmal alle Kräfte gesammelt haben und losgerannt sind.
Dabei kommt mir dieses Gedicht in den Sinn. Ich musste es in der Grundschule auswendig lernen. "Frühling lässt sein blaues Band..." was für ein Blödsinn. Warum ist das Band denn blau? Grün wäre ja noch nachvollziehbar. Aber warum hat der Frühling überhaupt ein Band? Hat der Frühling Hände? Womit sonst hält er das Band fest?

Ich komme zuhause an während ich noch über diese tiefsinnigen Fragen nachgrüble. Nachdem die Laufeinheit pflichtbewusst im Tagebuch vermerkt wurde, beschließe ich nicht weiter darüber nachzudenken und stelle meinen Kopf unter die Dusche, bevor ich noch anfange Harfentöne zu hören.

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